Ein Mail voller Informationen

Ich bekam ein Mail von einer Mutter eines Kindes mit frühkindlichem Autismus. Ich habe Ende März einen Beitrag geschrieben über frühkindlichen Autismus. Nur habe ich leider die falschen Links besucht und nicht gerade „die Besten“ Informationen herausgefischt. Ich habe ihn gelöscht. Der Text blieb aber in einem Entwurf festgehalten. Sie gab mir viele Informationen über frühkindlichen Autismus weiter und dafür bin ich sehr dankbar! Ich darf ihr Mail auf meinem Blog veröffentlichen, danke!

Lieber Clément

Ich möchte mich von ganzem Herzen bei dir für deinen tollen Blog bedanken, er gibt mir sehr wertvolle Einblicke in die „autistische Wahrnehmung“ und hilft mir im Alltag meinen Sohn besser zu verstehen, denn vieles was du beschreibst kommt mir sehr bekannt vor.

Es freut mich wirklich sehr, dass du in deinem Blog auch über das Thema „frühkindlicher Autismus“ schreiben möchtest. Durch Sternentaler und deinen Blog konnte ich sehr viel über Asperger Autismus erfahren und entdeckte sehr viele Gemeinsamkeiten zum frühkindlichen Autismus, aber natürlich auch Unterschiede. Wie ich deinem Text entnehmen konnte hast du schon fleissig recherchiert.

Leo Kanner entdeckte den sog. „frühkindlichen Autismus“ und beschrieb diesen auch. Nachfolgend ein Textauszug mit angehängtem Link zum Thema Intelligenz bei frühkindlichen Autisten:

„Die Intelligenz von Menschen mit frühkindlichem Autismus“

„Heute wird oft angenommen, dass Menschen mit frühkindlichem Autismus generell eine Intelligenzminderung haben. Dabei muss man zu einem sagen, dass das in feinster Weise Leo Kenners ursprünglicher Beschreibung entspricht. Darin sagte er, dass einige der autistischen Menschen, die er beschrieb, eine unterdurchschnittliche Intelligenz hatten, andere eine durchschnittliche, und wieder andere lagen mit ihren kognitiven Fähigkeiten über dem Durchschnitt. Kanner veröffentlichte 1956 eine Folgestudie darüber, wie seine 1943 beschriebenen Patienten sich entwickelt hatten. Darin berichtet er: Zum anderen sind die kognitiven Fähigkeiten autistischer Personen schwierig zu messen. Standard-IQ-Tests unterschätzen die Intelligenz von Menschen im Autismus-Spektrum oft – es scheint, dass autistische Menschen eine andere Intelligenz haben als nichtautistische Menschen, sprich: andere Stärken und Schwächen. Bei manchen nicht-sprechenden autistischen Menschen wurde eine Intelligenzminderung vermutet, bis man einen Weg fand, wie sie kommunizieren konnten, z.B. über Bildkartei, Gebärdensprache, Tastatur o.ä. – und es stellte sich heraus, dass sie viel intelligenter waren als bisher angenommen. Nicht alle Menschen mit frühkindlichem Autismus sind besonders intelligent, manche haben eine Lernbehinderung – aber alle brauchen einen Weg, ihre Bedürfnisse und Wünsche zu kommunizieren. Frühkindlichen Autismus bei durchschnittlicher oder überdurchschnittlicher Intelligenz nennt man High-Functioning Autismus.“

(https://autismus-kultur.de/autismus/fruehkindlicher-autismus.html)

Oft erlebe ich das man frühkindlichen Autisten pauschal Intelligenzminderung unterstellt, das ist so nicht richtig. Es gibt frühkindliche Autisten die einen normalen IQ haben, es gibt auch frühkindliche Autisten die beeinträchtigt sind und es gibt Autismus als Begleiterscheinung von genetischen Syndromen, geistigen Behinderungen. Bei meinem Sohn vermutet man ein genetisches Syndrom, bis jetzt fand man aber nichts, wir vermuten Sauerstoffmangel während der Geburt, aber es sind nur Vermutungen.

Generell denke ich das IQ-Tests bei Autisten allgemein mit Vorsicht zu geniessen sind, insbesondere bei „frühkindlichen Autisten“. Hier ist die Gefahr gross, dass betroffene Kinder zu schnell aussortiert und chancenlos abgestempelt werden, was Einfluss auf die Entscheidung der richtigen Schulform und den weiteren Lebensweg haben kann. Einen interessanten Bericht zum Thema IQ und Autismus findest du in diesem Link: https://butterblumenland.wordpress.com/2016/05/06/iq-tests/

Kinder mit frühkindlichem Autismus sind allgemein entwicklungsverzögert, also in der Regel nicht altersgerecht entwickelt. Die Auffälligkeiten zeichnen sich bereits vor dem 3. Lebensjahr ab und gelten somit als wichtiges diagnostisches Kriterium für den frühkindlichen Autismus. Wünschenswert wäre eine frühe Diagnosenstellung, in der Praxis zeigt sich aber oft ein anderes Bild, oft wird die Diagnose erst nach dem 3. Lebensjahr gestellt. Die Eltern bekommen zuvor oft zuhören, dass ihr Kind einen Entwicklungsrückstand oder eine Entwicklungsverzögerung unklarer Genese hat. Bei meinem Sohn, er ist jetzt 7 Jahre alt, erhielten wir die Diagnose kurz vor seinem 4. Geburtstag, aber auch nur weil wir als Eltern selbst den Verdacht hatten und uns für eine entsprechende Abklärung einsetzten. Im Nachhinein betrachtet gab es viele Anzeichen die auf Autismus hindeuteten. Mein Sohn suchte von sich aus keinen Blickkontakt, reagierte nicht auf meine Lautsprache, d.h. versuchte sie nicht nachzuahmen, dies traf auch auf Spielsituationen zu. Zeigte ich etwas vor, wie z.B. in die Hände klatschen oder einen Greifring auf einen Stab zu stecken, zeigte mein Sohn kein Interesse es nachzuahmen, was normalerweise Babys oder Kleinkinder ohne Autismus versuchen sofort zu imitieren. Durch Imitation lernen Kinder. Auffallend war auch, dass mein Sohn empfindlich auf Körperkontakt reagierte, lieber alleine schlief, damals verstand ich nicht warum, fragte mich oft ob ich etwas falsch machte, da ich eigentlich im Familien- und Bekanntenkreis den Ruf der „Babyflüstern“ hatte, also Babys auf mich sehr gut und entspannt reagierten. Mein Sohn interessierte sich dafür leidenschaftlich für Türen, konnte mit stoischer Ausdauer Türen hin und her bewegen um die Veränderung bzw. den Öffnungsgrad der Türspalte und den Lichteinfall zu untersuchen. Später als er auf zwei Beinen stehen konnte und endlich an die Türklinken herankam, untersuchte er akribisch den Türschliessmechanismus verschiedener Türen, dabei spielte der Klang offenbar eine grosse Rolle und ich glaube das auch jedes Türschloss anders geklungen hat, was für meine Ohren unglaublich schwer zu hören ist.

Die sprachliche Entwicklung kann bei frühkindlichen Autisten sehr unterschiedlich sein, es gibt Autisten wie mein Sohn, die sind mehrheitlich nonverbal bzw. sprechen einzelne Wörter oder ihre eigene Sprache oder sie sprechen auch gar nicht. Bei meinem Sohn habe ich einen eigenen Namen für seine Sprache, abgeleitet von einem Namen. Leider verstehe ich diese Sprache nicht. Ein nichtsprechendes Kind zu haben ist eine grosse Herausforderung, man lernt das Lesen der nonverbalen Sprache, also der Körpersprache. Oft weiss ich nicht was in meinem Sohn vorgeht, versuche so gut es geht seine Bedürfnisse zu erkennen, aber das gelingt mir nicht immer, was im Umkehrschluss zu Frustrationen bei meinem Sohn führt. Deshalb entschieden wir uns den Weg der unterstützen Kommunikation zu gehen, wir verwenden einen Talker, einen sog. Sprachcomputer. Aktuell befinden wir uns in der Lernphase, ich schreibe bewusst wir, da wir als Eltern den Talker selbst intensiv nutzen müssen, damit unser Sohn nicht das Gefühl vermittelt bekommt, der alleine Nutzer sein zu müssen. Es gibt aber auch frühkindliche Autisten die einfach sprachverzögert sind oder relativ normal sprechen bzw. auch die Echolalie oder eben der sehr späte Beginn des Sprechens.

Vielleicht hast du hier die Sendung „Wir leben mit Autismus“ auf SRF 1 gesehen? In dieser Sendung wurden drei Kinder mit frühkindlichem Autismus porträtiert, die Sendung zeigt sehr gut auf wie vielseitig das Spektrum auch im Bereich des frühkindlichen Autismus ist.

Hier noch der Link: https://www.srf.ch/play/tv/dok/video/wir-leben-mit-autismus?id=54fdc969-a925-4644-92a5-6116cc3c8e53&station=69e8ac16-4327-4af4-b873-fd5cd6e895a7

Jungen sind laut Statistik häufiger betroffen als Mädchen. Hier muss man erwähnen, dass die Diagnostik in der Regel auf Jungen ausgelegt war und ist, weil diese „einfacher“ zu diagnostizieren sind, d.h. die Anzeichen von Autismus sind bei Jungen klarer erkennbar als bei Mädchen.

Mädchen können sich trotz ihrer Autismusspektrumstörung oft viel besser anpassen als die Jungen und das Verhalten ihrer Mitmenschen zudem viel besser imitieren, weshalb diese Diagnose oft nicht gleich erkannt wird. So auch beim Aspergersyndrom.

Generell handhabe ich es wie Silke Mauerfeind von https://ellasblog.de

und setze mich für den Begriff der Autismusspektrumstörung ein, da ich zu oft die Erfahrung gemacht habe, dass frühkindliche Autisten als minderintelligent und somit als chancenlos abgestempelt werden. Zudem ist die Gefahr gross, die eine Form gegen die anderen auszuspielen. Ich überlege immer wieder wie ich den Unterschied beschreiben kann, was mir als Neurotyp wahrlich schwerfällt. Schliesslich ist die „autistische Wahrnehmung“ für mich ebenfalls wie eine Fremdsprache, die ich erlernen muss und dank deines Blogs erhalte ich sehr gute Einblicke, die es mir ermöglichen mich besser in meinen Sohn hineinzuversetzen und dennoch bin ich nicht in der Lage die Dinge wahrzunehmen wie mein Sohn sie wahrnimmt, aber ich bin aufmerksamer geworden, meine Sinne und der Blick für Details haben sich sehr geschärft, d.h. ich nehme Lärm mittlerweile anders wahr als früher, höre Dinge viel eher und finde es spannend Detail zu entdecken die mir früher entgangen wären. In deinem Blog las ich einen Bericht über den Rückzug ins Nirwana, ich glaube das dieses Abtauchen ins Nirwana bei frühkindlichen Autisten noch viel tiefer geht als beim Aspergersyndrom, hier kann ich aber nur mutmassen, es nicht belegen. Ich glaube auch das die Reizüberflutung bei frühkindlichen Autisten stärker ist, d.h. die Kanäle wie überlagert oder blockiert sind und sie deshalb sehr oft ihr Potenzial, ihre Intelligenz nicht zeigen können, weil sie es schlicht nicht auf Knopfdruck abrufen können, also just in dem Moment wo es gebraucht werden würde. Das ist sicher einer der Gründe warum man frühkindlichen Autisten gern die Minderintelligenz oder geistige Behinderung pauschal unterstellt. Mein Sohn kann aktuell nicht zeigen was er wirklich kann, erst in den Phasen tiefer Entspannung, als oft in Ferien erhalten wir kleine Einblicke, wo er steht, weiss ich noch nicht. Im Juni gehen wir zu einer erneuten Abklärung, einen IQ-Test verweigerte mein Sohn damals. Fremde Umgebung und fremde Menschen sind eben nicht gerade eine gute Voraussetzung.

Hier noch zwei Links von zwei frühkindlichen Autisten, allerdings findest du das Profil nur auf Facebook:

https://www.sz.ch/public/upload/assets/32027/kantonales_sonderpaedagogisches_konzept_kanton_schwyz_24_oktober_2017.pdf

https://www.facebook.com/Kanner84.0/posts/1679186555677249

Bei Beiden wird dir sicher die Schreibweise auffallen.

Ich wünsche dir einschönes und erholsames Wochenende und sende dir liebe Grüsse

 

 

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