Intolerant

Ein Moment, den man nicht so leicht vergisst.

Ich sass im Bus, mit einem Mitschüler. In der gleichen Reihe sass ein Mann. Er stand auf, ging raus, rauchte zwei, drei Züge und ging nachher wieder rein. Er hatte den Platz nicht markiert. Währenddessen wollte ein behinderter Mann sich auf seinem Platz niederlassen. Wie sollte er denn meine Güte wissen, dass dieser Platz schon besetzt wird? Der Sitznachbar des nicht behinderten Mannes sagte dann, der Platz sei besetzt. Aber er verstand das nicht, wenn dieser Platz ja frei ist! Der nichtbehinderte schimpfte mit dem behinderten Mann. Der Busfahrer schaute seelenruhig zu. Die Anderen schauten seelenruhig zu. Ich schaute meinen Mitschüler an, wir warfen uns „Warum dieses Drama? Ist ja nicht der einzige freie Sitzplatz im Bus!“-Blicke zu und wollten ja gerne helfen, aber wie hätten wir gegen diesen wutentbrannten Mann ankommen können. Nach fünf Minuten liess er sich dann auf einem anderen Platz nieder und schaute den behinderten Mann immer wieder zornig an – so, als ob er jeden Moment wieder damit anfangen könnte, den behinderten Mann anzuschimpfen. Fünf Minuten Zeter und Mordio! Der Busfahrer vergass völlig zu fahren. Wollte das Problem ja nicht schlichten, sondern nur als Zuschauer in der ersten Reihe sich wie in der V.I.P.-Loge fühlen. Mir war klar, bei einem nicht behinderten Mann hätte der zornige es nicht mal gewagt, so zu schimpfen, sondern wäre seelenruhig zu einem anderen Platz geschlendert. Und an diesem Tag wurde mir sofort die intolerante Gesellschaft klar. Und diese Erkenntnis ist eine grausame, weil sie nicht nur den nicht korrekten Vorwurf „Behinderte sind nicht normal“ ins Licht stellt. Sie macht eindeutig klar, dass man manchen Menschen einfach klar machen muss, dass Behinderte nicht schlechter sind als Andere. Ach, wie habe ich nachher im Zimmer geweint. Es ist schlimm, das so plötzlich zu erkennen, dass wir in einer zum Teil so intoleranten Gesellschaft leben.

4 thoughts on “Intolerant

  1. Du Lieber..das, was du da beschreibst, erschüttert. Und ich weiss gar nicht, was man dem entgegenstellen könnte oder was tröstlich wäre. Es macht einfach betroffen und wütend..Danke immer wieder, dass du uns so vieles durch deine so achtsamen feinfühligen Augen sehen lässt..Dafür sind wir dir dankbar.

    1. Liebe Brigitte, ich muss vor Allem dir dankbar sein. Du hast verlinkt, mir Mut gemacht, Ansporn gegeben… Vielen herzlichen Dank dafür!

  2. ich verstehe deine gedanken sehr gut! Wie gerne wäre ich da gewesen und hätte ein paar Worte gewechselt mit diesem Mann. Aber es gibt trotz allem guten Willen Menschen, die einfach nicht zuhören wollen…
    Sei stolz auf Dein Mitgefühl! Trotzallem ist am Schluss des Tages das immer noch 1000x besser als Ignoranz…

    1. Liebe Claudia, es ist leider wahr, dass manche Menschen einfach ignorieren und übersehen WOLLEN. Das Wollen ist schon der Anfang des Problems, man hat keine Lust, sich mit irgendwelchen Menschen rumzuschlagen, die anderen Leuten etwas zu Leide tun. Man hockt still da, wenn man wie der Busfahrer ist, sogar vergnügt, und vergisst die Abfahrtszeit. Mit ein bisschen Respekt wäre schon viel mehr Schönes am Existieren, und wenn mal jemand keinen Respekt zeigt, könnte die Hilfsbereitschaft anderer Menschen dem Betroffenen helfen. Aber solange dieser Kreislauf nicht im Gange ist, haben wir ein Problem mit der Toleranz und der Wertschätzung gegenüber anderen. Es waren ja noch andere Kinder im Bus, und ich sah ihnen ganz genau an, wie gern sie hätten helfen wollen! Aber sie konnten ja nicht, sie hatten Angst vor diesem Mann, wollten ihn ja gern in die Schranken weisen, aber wer weiss, was der noch alles machen könnte? Es erschüttert, dass manche Kinder weiser denken als Erwachsene.
      Ich bin sehr nachdenklich.

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