Veränderungen: eine Hassliebe oder Es kommt immer drauf an

Ja, ich mag Veränderungen. Nein, ich mag Veränderungen nicht. Ja, ich mag sie. Nein, ich mag sie nicht. Es kommt immer drauf an.

Ich höre beispielsweise wahnsinnig gerne Coverversionen von Liedern, die ich kenne. Da mag ich Veränderungen.

Neue Schüler in meiner Klasse mag ich anfangs überhaupt nicht. Obwohl es schlussendlich fast immer gut kommt. Da mag ich Veränderungen nicht.

Etwas neues, da freue ich mich jeweils. Wenn wir einen neuen Tisch haben, ein neues Sofa, einen neuen Fernseher, neue Stühle, was auch immer. Da mag ich Veränderungen.

Allerdings: Wenn es etwas anderes ersetzt, dann brauche ich eine Zeit lang, mich daran zu gewöhnen. Da mag ich Veränderungen nicht.

Es wird neu gewählt, und eine Partei gewinnt wahnsinnig viele Wählerstimmen, sie verdoppelt ihre Wählerstimmen. Da kommt es drauf an, welche.

Eine Serie bekommt eine neue Staffel, doch Schauspieler werden ausgetauscht. Da mag ich Veränderungen nicht.

Man kann es nicht pauschalisieren und generalisieren. „Veränderung“ ist ein weit fassender Begriff.

Bei Menschen mit Autismus ist es häufig so, dass sie es nicht sonderlich mögen, wenn sich Gewohnheiten und/oder Rituale verändern. Wenn wegen Corona das wöchentliche Teetrinken mit der Grosstante ausfällt. Wenn man den Geigenlehrer wechselt. Wenn man im Fussballteam in die nächste Mannschaft kommt. Wenn das Wochenende, in welchem man eigentlich auf eine Wanderung gehen wollte, komplett umgeplant werden muss. Wenn die Lieblingsfernsehsendung abgesetzt wird.

Auch brauchen Veränderungen immer Gewöhnungszeit. Das kennen neurotypische Menschen auch, denke ich. Beispiel. Der Baum vor dem Haus wird gefällt. Plötzlich sieht man viel weiter. Trotzdem denkt man sich jedes Mal, wenn man aus der Tür geht, für einen kurzen Moment, wo der Baum gerade ist. Bis man sich wieder erinnert. Doch gewundert hat man sich trotzdem.

Bei Menschen mit Autismus geht das glaubs noch ein bisschen länger. Vielleicht, weil Menschen mit Autismus andere Dinge in einem Raum fokussieren und die neuen oder speziellen Sachen mehr Anziehungskraft für einen haben. Und Ungewohntes stresst Menschen mit Autismus, das weiss man.

(Anmerkung: „glaubs“ ist ein schweizerdeutscher Ausdruck. Er bedeutet „Ich glaube“ oder „glaube ich“. Ich verwende ihn in diesem Blog immer wieder, und habe ihn für die nichtschweizerischen Leser noch gar nie erklärt.)

Da auch ich so meine Probleme mit Veränderungen habe, habe ich meinen Vorsatz nicht gerade so sehr befolgt. Es gab vier Wochen keinen Beitrag mehr. Ich dachte darüber nach, und entschloss mich dazu, zweiwöchentlich einen neuen Beitrag zu veröffentlichen. Das heisst: Den nächsten gibts am 11. April. Bis dahin: Bleibt gesund und, wenn immer möglich, zuhause.

6 thoughts on “Veränderungen: eine Hassliebe oder Es kommt immer drauf an

  1. Hallo Clément
    Ich mag vor allem keine Überraschungen. Geht dir das auch so?
    Wenn ich drei Tage vor der Wanderung schon sehe, dass das Wetter zu schlecht dafür ist, finde ich das viel weniger schlimm, als wenn plötzlich mein Bruder krank wird. Wenn ich weiss, dass da jemand neues in die Klasse kommt und ich am Besten vorher schon ein paar Sachen über ihn weiss, ist das viel weniger schlimm, als wenn der nach den Sommerferien plötzlich da steht. Ich brauche am Besten nicht nur Zeit, zum mich an die Veränderung gewöhnen, sondern auch zum mich darauf vorbereiten. Grundsätzlich finde ich längerfristige Veränderungen ja recht spannend.
    Ich mag es zum Beispiel, neue Dinge zu haben (ausser kratzende Jeans). Aber auch da bereite ich mich lieber darauf vor, gehe die Vor- und Nachtteile durch und wähle ganz bewusst das beste Ding aus. Bei meinem Wunschzettel überlege ich immer ganz gut, was ich da drauf schreibe. Nur leider halten sich immer wieder Leute nicht daran und dann bin ich oft ziemlich überfordert und weiss nicht wie reagieren und kann mich erst mal gar nicht richtig darüber freuen. Ich mag es nicht, wenn ich genau weiss, was in dem Paket ist, aber ich mag es, wenn ich sicher sein kann, dass mir das was darin ist auch wirklich gefällt.

    1. Liebe Lilli
      Ja, man kann es auch sehen. Wobei ich auch Planänderungen nicht mag – auch wenn man mir sagt, wir gehen wandern, danach laufen wir diesen Weg runter, dort parkieren wir, aber es könnte noch etwas dazwischenkommen, weil davor irgendetwas passiert ist. Dann bin ich trotzdem nicht sonderlich begeistert ob einer Veränderung. Überraschungsbegeistert bin ich (auch gerade bei Geschenken) nicht sehr, und ich möchte auch nicht mit einer Augenbinde ins Auto sitzen und danach irgendwo landen. Aber eine Überraschung, finde ich, kann auch spannend sein. Ich finde ja Veränderungen grundsätzlich spannend – solange sie mich nicht direkt betreffen. Ich finde es wahnsinnig spannend, wenn irgendwo in Timbuktu eine neue Regierung gewählt wird, warum sie gewählt wurde, welche Nachteile und Vorteile das hat. Das kann mich ja durch Abkommen beispielsweise immer noch betreffen, aber es ist nicht das Gleiche, wie wenn plötzlich ein neuer Sessel im Zimmer steht. Das verbraucht jeweils viele meiner Ressourcen in relativ kurzer Zeit.
      Herzlichst,
      Clément

  2. Lieber Clément
    Ich mag deine Texte sehr!
    Dieser hier hat mich gerade angesprochen. Denn es kommt wirklich drauf an welche Veränderung es betrifft, das beobachte ich bei meinem Sohn auch. Ich bin aber auch immer wieder überrascht dass er dort keine Mühe hat wo ich denke es könnte ein Problem sein und umgekehrt dass er dort Mühe hat wo ich denke es sei sicher kein Problem.
    Liebe Grüsse
    Ursina

    1. Liebe Ursina
      Ja, ich denke, es ist manchmal auch ziemlich willkürlich, da es aufs Stresslevel ankommt. Wenn man mir nach einer entspannten Woche am Wochenende sagt: „Wir könnten jetzt doch ein Eis essen gehen!“ oder „Wollen wir in den Buchladen?“, ist das für mich eher ein Grund zur Freude. Bin ich schon beinahe am Ende meiner Kräfte und mir wird dann noch vorgeschlagen, in die Gelateria zu spazieren, finde ich das eher stressig, auch wenn ich gerne Eis essen gehe.
      Herzliche Grüsse,
      Clément

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